Green Care schafft Perspektiven
Wenn auf einem Bauernhof
Jungpflanzen aufgezogen,
Kräuter geerntet oder Brot gebacken
wird, entstehen nicht
nur wertvolle Lebensmittel – es
entstehen auch Perspektiven.
Perspektiven für Menschen
mit Behinderung, die im Rahmen
ihrer Mitarbeit am Hof
sinnstiftende Aufgaben übernehmen.
Es geht um klassische
Hofarbeit – und um gesellschaftliche
Teilhabe.
Arbeit als Menschenrecht
Die UN-Behindertenrechtskonvention,
die von Österreich
2008 ratifiziert wurde,
formuliert ein klares Ziel: Menschen
mit Behinderung sollen
gleichberechtigten Zugang zu
Arbeit und Beschäftigung erhalten
– möglichst wohnortnah
und im sozialen Umfeld
ihrer Wahl. Arbeit wird dabei
nicht nur als wirtschaftliche
Leistung verstanden, sondern
als zentraler Bestandteil eines
selbstbestimmten Lebens. Die
Praxis zeigt jedoch: Der Zugang
zum allgemeinen Arbeitsmarkt
ist für viele Menschen
mit Behinderung stark eingeschränkt
– besonders für Personen
mit intellektuellen Beeinträchtigungen.
Beschäftigung
findet häufig im sogenannten
erweiterten Arbeitsmarkt statt,
etwa in Tagesstrukturen oder
Werkstätten, die zwar wichtige
Entwicklungsmöglichkeiten
bieten, aber meist nicht auf
regulären Dienstverhältnissen
beruhen. Green Care-Angebote
bewegen sich ebenfalls in
diesem Bereich, zeichnen sich
jedoch durch ihre besondere
Nähe zum realen Arbeitsleben
aus. Die Tätigkeiten – etwa in
der Tierpflege, im Gartenbau
oder bei der Verarbeitung und
Vermarktung von Produkten
– sind notwendig, verantwortungsvoll
und eng mit dem
bäuerlichen Alltag verbunden.
Realisiert werden diese Angebote
meist in Kooperationen
zwischen bäuerlichen Familienbetrieben
und Sozialträgern
oder auf landwirtschaftlichen
Betrieben, die direkt von Sozialträgern
geführt werden. Die
Beteiligten erleben, dass ihre
Arbeit gebraucht wird und stehen
im Austausch mit bäuerlichen
Familien, Kolleg:innen
und Kund:innen. So entsteht
ein offenes, praxisnahes Umfeld,
das Inklusion konkret erlebbar
macht.
Vier Beispiele aus der Praxis
Caritas Bauernhof Maria
Wald (Wien): Hoch über Wien
im 19. Wiener Gemeindebezirk
liegt die Einrichtung der Caritas
der Erzdiözese Wien „Am
Himmel“. Das Areal ist Teil des
Biosphärenparks Wienerwald
und verfügt über Grünland,
Wald und gartenbauliche Flächen.
Im Rahmen des Green
Care-Projekts wurde der landwirtschaftliche
Betrieb revitalisiert,
baulich adaptiert und
beheimatet seitdem eine Tagesstruktur
und Wohngruppen.
Bei der Tagesstruktur handelt
es sich um ein praxisnahes
lnklusionsprojekt im landwirtschaftlichen
Umfeld für
Menschen mit
Behinderung.
Dazu zählen
Bio-Gartenbau
und Pflanzenzucht,
Veredelung und Direktvermarktung
sowie Selbsterntebeete
und Arealpflege. Im eigenen
Hofladen und auf Märkten
in Wien werden Obst, Marmelade,
Säfte, Gemüse und Honig
verkauft. Die Klientinnen
und Klienten der Tagesstruktur
„Am Himmel“ finden vielfältige
Möglichkeiten, in und
mit der Natur zu arbeiten und
werden dabei von einem Team
aus Sozialbetreuerinnen und
Sozialbetreuern unterstützt.
Die Wohngruppen richten
sich an Menschen mit spezifischem
und intensivem Betreuungsbedarf
und bieten diesen
eine 24-Stunden-Betreuung inmitten
der Natur und doch in
Nähe der Stadt.
Dorfgemeinschaften Wienerwald
– Bio-Bauernhof Passet
(Niederösterreich): 15 Kilometer
von Wien entfernt betreibt
die Familie Passet im Biosphärenpark
Wienerwald einen
biologisch geführten Bauernhof.
Seit 2022 kooperiert
sie mit dem Sozialträger Dorfgemeinschaften
Wienerwald
und bietet Menschen mit Behinderung
eine sinnstiftende
Tagesstruktur. Unter Anleitung
übernehmen sie Aufgaben in
der Tierpflege, im Bio-Gartenbau
und in der Landschaftspflege. Die gemeinsam hergestellten
Produkte – etwa Honig,
Apfelsaft oder veredelte Kräuter
– werden ab Hof verkauft.
Lillis Marillengarten (Niederösterreich):
Am Wein- und
Obstbaubetrieb der Familie
Aufreiter dreht sich alles um
die Wachauer Marille – und um
soziale Teilhabe. Menschen mit
Behinderung arbeiten im Rahmen
eines Beschäftigungsprojekts
gemeinsam mit der Lebenshilfe
an Verpackung und
Verkauf hofeigener Produkte
wie Marmeladen, Säften und
Edelbränden. Die Aufgaben
sind individuell abgestimmt
und stärken Selbstvertrauen
und Eigenverantwortung. Der
Betrieb zeigt, wie sich Direktvermarktung
und soziale Verantwortung
verbinden lassen.
Caritas-Bauernhof Unternalb
(Niederösterreich): Am
integrativen Bio-Bauernhof
Unternalb übernehmen Menschen
mit Behinderungen vielfältige
Aufgaben in Landwirtschaft,
Gärtnerei, Küche, Instandhaltung
und Tierhaltung.
Neben drei Wohngruppen am
Hof bietet die Tagesstruktur
sinnstiftende Arbeit in einer naturnahen
Umgebung mit Wiesen,
Tieren und Gemeinschaft.
Seit Kurzem gibt es auch eine
Senior:innen-Werkstatt – ein
spezifisches Angebot für ältere
Menschen mit Behinderung.
Achtsame Begegnungen mit
Eseln, Schafen und Ziegen fördern
soziale Kompetenzen und
stärken das Selbstvertrauen. Im
Selbstbedienungsstand und
in lokalen Geschäften werden
Obst, Marmelade, Eier, Gemüse
und Honig verkauft. Ein besonderes
Highlight ist die Frühstückspension
OBENauf, die
von den Mitarbeitenden betrieben
wird und Gästen Einblicke
ins Leben am Hof ermöglicht.
Neue Chancen für die Landwirtschaft
Familienbetriebe bietet Green
Care die Möglichkeit, Menschen
mit Behinderung sinnvolle
Beschäftigung in einem
realen Arbeitsumfeld zu ermöglichen.
Voraussetzung ist stets
eine enge Kooperation mit einem
anerkannten Sozialträger,
der für die fachliche Begleitung
und die nachhaltige Finanzierung
verantwortlich ist.
Wichtig ist: Green Care-Projekte
sind keine Form kostengünstiger
Arbeitskraftbeschaffung.
Im Gegenteil – die Einbindung
von Menschen mit
Behinderung bedeutet in der
Regel einen erhöhten organisatorischen
Aufwand, Flexibilität
im Betriebsalltag und Rücksichtnahme
auf individuelle
Fähigkeiten und Bedürfnisse.
Ziel ist nicht Effizienzsteigerung,
sondern sinnstiftende
Teilhabe in einem geschützten
und wertschätzenden Rahmen.
Dennoch sind Green Care-Angebote
in diesem Bereich auch
wirtschaftlich tragfähig – insbesondere,
wenn Bäuerinnen
und Bauern über entsprechende
Qualifikationen verfügen
und sich aktiv in die pädagogische
Betreuung einbringen.
Einnahmen ergeben sich aber
auch durch Infrastrukturentgelte
seitens des Sozialträgers
oder durch den Verkauf zusätzlicher
Leistungen wie tiergestützte
Einheiten. So entsteht
ein nachhaltiges Modell, das
wirtschaftliche Perspektiven
für landwirtschaftliche Betriebe
mit sozialer Verantwortung verbindet – und einen wichtigen
Beitrag zur Umsetzung der
UN-Behindertenrechtskonvention
im ländlichen Raum leistet.